25.04.2023

Warum US-Amerikaner in der Pandemie besonders viele Waffen kauften

"Allein im März 2020 wurden in den USA etwa 2,5 Millionen Schusswaffen gekauft. Zwei Studien suchten nach Erklärungen dafür."

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„Die USA sind vermutlich das einzige Land der Welt, in dem es mehr Schusswaffen als Bürgerinnen und Bürger gibt. Auf 100 Einwohner kommen aktuell rund 120 Waffen – von denen allzu oft Gebrauch gemacht wird. Im Jahr 2020 etwa starben in den USA täglich mehr als 50 Menschen durch Waffengewalt. Heuer hat es bis Anfang April bereits 135 Massenschießereien gegeben, bei denen es zumindest vier Tote gab.

Und die Zahlen gehen immer weiter nach oben: Laut einer neuen Studie nahm die Zahl der Opfer unter 18 Jahren von 2019 bis 2021 um 50 Prozent zu.

Paradoxerweise wurde die US-amerikanische Waffenepidemie durch die Pandemie noch einmal gehörig angefacht: In den ersten vier Monaten des Jahres 2020 haben mehr als 2,5 Millionen US-Amerikaner erstmals eine Waffe erworben. Laut Schätzungen wurden allein im März 2020 zwei Millionen Schusswaffen gekauft. Wer aber sind diese Menschen, und was waren ihre Motivationen?

Zusammenhang mit Suizidgedanken

Diesen Fragen ging ein Team um den Psychologen Michael Anestis (Rutgers School of Public Health) im Laufe des Jahres 2020 erstmals nach. Anestis, der auch geschäftsführender Direktor des New Jersey Gun Violence Research Center ist, untersuchte mit seinen Kolleginnen in dieser Studie, ob Waffenkäufer eher zu Selbstmord neigten, und befragte dazu 3.500 US-Amerikanerinnen und Amerikaner, von denen rund ein Drittel bereits Schusswaffen besessen hatte.

Die Untersuchung, die Ende 2020 im "American Journal of Preventive Medicine" erschien, bestätigte die Vermutung: Personen, die eine Schusswaffe kauften, hatten zu 70 Prozent in ihrem Leben bereits Suizidgedanken gehabt, 56 Prozent hatten 2019 an einen Suizid gedacht. Personen, die zu Beginn der Pandemie keine Waffen kaufen, litten in diesen Zeiträumen nur unter 56 beziehungsweise 24 Prozent an Suizidgedanken.

Korrelationen mit Prävention und Politik

Ein Jahr später führte Anestis mit seinem Team eine weitere Umfrage zu diesen pandemischen Waffenkäufen durch. Diesmal ging es aber einerseits um Zusammenhänge mit politischen Präferenzen und andererseits mit der persönlichen Covid-19-Vorsorge. Diesmal wurden 6.404 Erwachsenen aus den Bundesstaaten Minnesota, Mississippi und New Jersey befragt. Die Ergebnisse liegen nun vor, veröffentlicht im "Journal of Social and Clinical Psychology".

Die Hauptkorrelation, die sich zeigte, kommt nicht ganz überraschend: Menschen, die eher Covid-19-Vorsorgemaßnahmen vermieden, kauften mit größerer Wahrscheinlichkeit Schusswaffen – ein Verhaltensmuster, das am häufigsten bei politisch gemäßigten und konservativen Personen anzutreffen ist. Die Studie liefert aber noch weitere aufschlussreiche Details, die sich bei Anwendung einer statistischen Methode namens latente Klassenanalyse offensichtlich wurden.

Weniger Prävention, mehr Waffenkauf

Diese Analysen ergaben, dass sich die befragten Personen auf Basis der jeweiligen Präventionsmaßnahmen und der politischen Überzeugungen grob in vier Gruppen einteilen ließen. Die erste Gruppe, die sich durch liberale politische Ansichten auszeichnete, zeigte viele präventive Verhaltensweisen (wie Maskentragen oder Impfungen), und mehr als 98 Prozent aus dieser Gruppe stimmten für Joe Biden. Die zweite Gruppe mit gemäßigten politischen Ansichten zeigte nur sehr wenige präventive Verhaltensweisen und mehr als 73 Prozent Biden-Wähler.

Eine dritte Gruppe mit konservativen politischen Überzeugungen befolgte kaum Schutzmaßnahmen und wählte zu mehr als 90 Prozent Donald Trump. In der vierten Gruppe, die ebenfalls von konservativen politischen Überzeugungen geprägt ist, betrieben die Befragten relativ viel Prävention, um Krankheiten zu vermeiden; 73 Prozent stimmten für Donald Trump.

Geringes Vertrauen in Wissenschaft

Jene beiden Gruppen, die am wenigsten Prävention betrieben (also eine gemäßigte und eine konservative), wiesen nicht nur die meisten Waffenkäufe auf. Sie hatten auch besonders wenig Vertrauen darin, dass Forschende im besten Interesse der Öffentlichkeit handeln.

Für Michael Anestis weisen die Daten auf einen seltsamen Widerspruch hin: Jene Personen, die selbst zu Beginn der Pandemie für sich nur ein sehr geringes Krankheitsrisiko sahen, hatten besonders viel Furcht davor, "von anderen Menschen geschädigt zu werden. Sie griffen daher auf ein Verhalten zurück, das ihrer Meinung nach in diesem Bereich für Sicherheit sorgte: den Kauf von Schusswaffen." Diese grob verzerrte Risikowahrnehmung dürfte für Anestis zumindest zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass diese Personen dazu neigen, Quellen zu vertrauen, deren Informationen nicht durch Daten untermauert sind. (Klaus Taschwer, 17.4.2023)“

Quelle: Der Standard

 

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