10.05.2020

Prävention von Radikalisierung und demokratiefeindlichem Extremismus: Aktuell (170)

Weitere News
zu dem Thema

  • Bericht Rechtsextremismus im Netz 2018/2019. Rechtsextreme Gruppen verlagern ihre Aktivitäten zunehmend auf Social Media und nehmen damit gezielt Jugendliche ins Visier. Über alle verfügbaren Dienste und Kanäle locken sie mit Angeboten, die an die Lebenswelt junger Menschen anknüpfen und deren Emotionen wecken – zum Beispiel durch Musik: von Rock bis Hip-Hop. Der Lagebericht von Jugendschutz.net macht einmal mehr deutlich, dass Social-Media-Dienste ein zentrales Aktionsfeld von Rechtsextremen sind. Gerade dort, wo Schutzmaßnahmen durch Plattformbetreiber nicht vorhanden oder zu wenig wirksam seien, entstünden gefährliche „Echokammern“. 
  • Aktuelle Informationen des Radicalisation Awareness Network (RAN). (1) RAN Young Platform 2020: Call to register interest (2) Live webinar on right-wing extremism - RWE (3) Call for RAN Working Group Leaders (4) RAN Update 70
           
  • Aktuelles aus dem Deutschen Bundestag:

    • Rechtsextremistische Musikszene
      (hib/STO) Mit der Rolle der Musikszene innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums befasst sich die Bundesregierung in ihrer Antwort (19/18044) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (19/17457). Danach kommt den Beobachtungen der Nachrichtendienste zufolge innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland der Musikszene eine "besondere Bedeutung" zu. Sie verfüge über eine "nicht zu unterschätzende Rekrutierungs- und Bindungsfunktion". Mit aggressiven, fremdenfeindlichen, antisemitischen und antidemokratischen Texten popularisierten die Bands rechtsextremistische Argumentationsmuster und Einstellungen, heißt es in der Antwort weiter. Die Musik sei ein bedeutsames Medium, das speziell bei Jugendlichen Interesse für den Rechtsextremismus wecken und diese damit an die rechtsextremistische Szene heranführen könne. Insbesondere für Jugendliche stellen Streaming- und Download-Plattformen inzwischen laut Vorlage die am häufigsten genutzte Form des Musikkonsums dar. Dies gelte auch für rechtsextremistische Musik, die insbesondere auf ausländischen Plattformen verfügbar sei. Dies umfasse häufig in Deutschland strafbare beziehungsweise indizierte Titel. Daneben existierten noch rechtsextremistische Onlinevertriebe und einzelne Ladengeschäfte, die ein breites Spektrum (legaler) rechtsextremistischer Tonträger anbieten. "Während früher die ,klassische' Skinheadmusik beziehungsweise der Rechts-Rock den mit Abstand größten Teil der rechtsextremistischen Musik darstellte, haben sich im Verlauf der letzten Jahre immer mehr unterschiedliche Richtungen dieser Musik entwickelt", führt die Bundesregierung ferner aus. Hierzu zählten "Musik im Liedermacherstil, Hatecore, NS-BlackMetal bis hin zu Hip-Hop-Musik". Durch diese vergrößerte Bandbreite würden "unterschiedliche und gegebenenfalls neue Personen(gruppen)" angesprochen. Seit Jahren nahezu unvermindert hoch bleibt den Angaben zufolge mit zirka 150 die Zahl rechtsextremistischer Musikgruppen in Deutschland. Hinzu kämen zirka 60 rechtsextremistische Liedermacher und Solo-Interpreten. Die seit einigen Jahren steigende Zahl der Einzelinterpreten finde ihren Niederschlag auch in der zunehmenden Zahl rechtsextremistischer Liederabende. Mit einer Fortsetzung dieses Trends sei zu rechnen. Gleiches gilt laut Vorlage auch für sonstige rechtsextremistische Veranstaltungen, bei denen zusätzlich Live-Musik gespielt wird. Diese beiden Arten von Musikveranstaltungen haben die "klassischen" Konzerte mit Auftritten einer oder mehrerer Musikgruppen zahlenmäßig bereits überholt, wie aus der Antwort zudem hervorgeht. Im Jahr 2018 gab es danach insgesamt 270 Musikveranstaltungen.

    • Gesetzentwurf gegen Hasskriminalität
      (hib/MWO) Der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität (19/1774119/18470) war Thema einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 06.05.2020. Die Ziele der beiden wortgleichen Vorlagen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung wurden von den zwölf Sachverständigen und Beigeordneten mehrheitlich begrüßt, die Umsetzung sei jedoch nicht optimal. Mehrere Experten bemängelten einen zu starken Eingriff in Freiheitsrechte. 

      Die Abgeordneten interessierten sich vor allem für Einzelheiten zu den neuen Straftatbeständen unter dem Gesichtspunkt der Ultima Ratio, zur Beschaffung von Auskünften von den Dienstanbietern und zur Arbeitsweise des Bundeskriminalamtes (BKA) im Zusammenhang mit der im Entwurf vorgesehenen Meldepflicht strafbarer Inhalte. Eine Vertreterin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verwies auf den Änderungsantrag ihrer Fraktion zu dem Gesetz, der Vorschläge des Bundesrates, des Deutschen Anwaltvereins (DAV) und des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz aufgreife.

      Mit dem Gesetz will die Bundesregierung einer im Internet und besonders in den sozialen Medien zunehmend zu beobachtenden Verrohung der Kommunikation entgegentreten. Durch aggressives Auftreten bis hin zu Morddrohungen werde nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen, sondern auch der politische Diskurs in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung angegriffen, heißt es im Entwurf. Damit sei der freie Meinungsaustausch im Internet und letztendlich die Meinungsfreiheit gefährdet. Zu deren Verteidigung sei der Staat verpflichtet.

      Armin Engländer, Strafrechtler von der Ludwig-Maximilians-Universität München, erklärte in seiner Stellungnahme, die vorgeschlagenen Änderungen des Strafgesetzbuches verdienten in ihrer Zielsetzung uneingeschränkt Zustimmung. Die Änderungen und Ergänzungen bei den Beleidigungstatbeständen, die einen der Schwerpunkte des Entwurfs bildeten, seien sinnvoll. Zu weit gingen allerdings die vorgesehenen Änderungen beim Tatbestand der Bedrohung. Die mit dem Mittel des Strafrechts verfolgten gesetzgeberischen Ziele ließen sich nur erreichen, wenn die Strafjustiz auch über ausreichende Ressourcen verfügt, fügte Engländer hinzu. 

      Matthias Bäcker, Lehrstuhlinhaber und Datenschutzrechtsexperte von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz beschränkte sich in seiner Stellungnahme auf die Pflicht von Netzwerkbetreibern zur Meldung bestimmter Inhalte an das BKA sowie die Regelungen zur Übermittlung von Telemediendaten an Sicherheitsbehörden. Gegen die Meldepflicht bestünden keine fundamentalen verfassungsrechtlichen Bedenken, erklärte Bäcker. Allerdings reiche diese Pflicht hinsichtlich der mit zu übermittelnden Identifikationsdaten teils zu weit.

      Der Beauftragte der bayerischen Justiz zur strafrechtlichen Bekämpfung von Hate-Speech, Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb, erklärte, dass aus seiner Sicht der Regelungs- und Handlungsbedarf im Bereich der Beleidigungsdelikte nicht ausgeschöpft werde. Es bestehe weitergehender Reformbedarf, sagte Hartleb mit Blick auf Phänomene jüngerer Zeit, insbesondere strafbare Hassrede im Internet. Zudem griffen die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Änderungen zu kurz. Den Ermittlungsbehörden müssten die für die Verfolgung von Hate-Speech erforderlichen strafprozessualen Instrumente an die Hand gegeben werden.

      Markus Hartmann von der Staatsanwaltschaft Köln, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC), verwies in seiner Stellungnahme auf umfangreiche Praxiserfahrungen sowohl im Hinblick auf die gegenwärtige Situation der Bekämpfung der digitalen Hasskriminalität als auch auf wesentliche Hemmnisse der Strafverfolgung. Hartmann begrüßte die Stärkung der materiell-rechtlichen und strafprozessualen Grundlagen für die Strafverfolgung. Das durch die gesetzlichen Neuregelungen zu erwartende Arbeitsaufkommen sei jedoch nicht in erforderlichem Maße berücksichtigt worden. So seien die durch den Bundesrat aufgeworfenen Fragen zu den Kosten des Gesetzesvorhabens für die Landesjustizbehörden höchst praxisrelevant. 

      Oberstaatsanwalt Andreas May von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main betonte, die gesetzgeberische Zielsetzung werde die beteiligten Ermittlungsbehörden vor eine beispiellose Mammutaufgabe stellen. Das bisherige Gesetzgebungsverfahren habe gezeigt, dass auch grundsätzliche Fragestellungen noch nicht abschließend geklärt sind, die für das Ziel der Ermöglichung einer effektiven Strafverfolgung von wesentlicher Bedeutung sein dürften. Unter anderem müssten die Aufgaben des BKA klargestellt werden. 

      Für BKA-Vizepräsident Jürgen Peter ist der Gesetzentwurf ein wichtiger Fortschritt bei der Bekämpfung von Straftaten im Internet. Die im aktuellen Gesetzgebungsverfahren vorliegenden Rechtsänderungen seien erforderlich und geeignet, strafrechtliches Handeln aus der scheinbaren Anonymität des Netzes zu holen. Mit den Regelungen sei die Grundlage geschaffen, die gemeldeten Inhalte im BKA zentral zu sichten und die Voraussetzung zu schaffen, dass Strafverfolgungsmaßnahmen sowie gefahrenabwehrende Maßnahmen durch die örtlich zuständigen Behörden eingeleitet werden können. Zur besseren Aufklärung seien allerdings weitere Befugnisse erforderlich.

      Die mit dem Gesetzesentwurf verfolgten Ziele könne man nur begrüßen, erklärte Stephan Conen vom DAV. Gegen die hierzu angedachten Mittel und die legislative Umsetzung gebe es jedoch durchgreifende Einwände. Die Inanspruchnahme der privaten Diensteanbieter als meldepflichtige Vorposten der Strafverfolgung durch das BKA begegne ebenso Bedenken und sei im Ergebnis ebenso abzulehnen wie die tatbestandliche Ausweitung von Strafbarkeiten und die Anhebung von Strafrahmen, zumal die Hoffnung mit letzteren Sozialverhalten steuern zu können nach allen kriminologischen Erkenntnissen der Tatsachenbasis entbehre. 

      Uda Bastians vom Deutschen Städtetag, die zusammen mit den anderen Vertretern der kommunalen Spitzenverbände aufgrund eines Sonderstatus an der Anhörung teilnahm, erklärte, mit dem Gesetzentwurf würden Strafbarkeitslücken geschlossen und die effektive Strafverfolgung verbessert. Gerade in der Öffentlichkeit stehende Personen bis hin zur kommunalen Ebene stünden mit zunehmender Tendenz im Fokus von Beleidigungen, Bedrohungen, Einschüchterungen oder sogar tätlichen Angriffen. Bastians wies darauf hin, dass Änderungen im Strafgesetzbuch für sich allein nicht ausreichten. Eine effiziente Strafverfolgung könne nur durch personell und technisch hinreichend ausgestattete Strafverfolgungsbehörden gewährleistet werden.

      Uwe Lübking vom Deutscher Städte- und Gemeindebund und Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag verwiesen ebenfalls auf die Notwendigkeit, Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, aber auch kommunale Angestellte besser zu schützen. In der haupt- und ehrenamtlichen Kommunalpolitik werde bereits darüber nachgedacht, so Lübking, ob ein Amt oder Mandat weiter ausgeübt oder ob ein Amt überhaupt angestrebt werden solle. Die Meinungsfreiheit im demokratischen Diskurs sei ein hohes Gut, ehrverletzende Beleidigungen oder demokratiegefährdende Bedrohungen dürften nicht hingenommen werden. Notwendig seien aber auch Prävention und Sensibilisierungsarbeit.

      Rechtsanwältin Josephine Ballon von der gemeinnützigen Organisation HateAid, die Betroffene von digitaler Gewalt unterstützt, begrüßte das gestiegene Bewusstsein dafür, dass Hassrede, Hasskriminalität und Rechtsextremismus auch im Internet eine Bedrohung für die demokratische Gesellschaft und die Meinungsfreiheit seien. Die Strafverfolgung sei zwar ein wichtiger Baustein, um Hasskriminalität und digitale Gewalt einzudämmen, berge aber zugleich die Gefahr, dass Freiheitsrechte mehr als erforderlich eingeschränkt werden. Hier müsse genau abgewogen und nach einer Lösung gesucht werden, die Strafverfolgung vorantreibt, aber die Grundrechte nicht unverhältnismäßig einschränkt. In diesem Sinne seien Nachbesserungen am Entwurf erforderlich.

      Auch Rechtsanwalt Henning Lesch von eco - Verband der Internetwirtschaft meldete Bedenken gegen den Entwurf an. Die Pläne gingen weit über die zuvor diskutierte Stärkung des NetzDG hinaus. Es drohten zum Teil tiefgreifende Einschnitte in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, in das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität von Kommunikationssystemen sowie in das Fernmeldegeheimnis. Sein Verband bekenne sich zum Kampf gegen Rechtsextremismus und unterstütze das Vorgehen gegen rechtswidrige Inhalte im Internet. Nach Einschätzung der Internetwirtschaft bestünden hinsichtlich des Gesetzentwurfes jedoch erhebliche verfassungsrechtliche, datenschutzrechtliche und europarechtliche Bedenken. 

      Der Entwurf, der im März in erster Lesung im Bundestag weitgehend als dringend notwendig erachtet wurde, sieht als eine zentrale Neuerung die Einführung einer Meldepflicht der Anbieter sozialer Netzwerke im Sinne des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) vor. Sie sollen verpflichtet werden, ein System einzurichten, wonach bestimmte strafbare Inhalte an das BKA zu melden sind. Erfasst sein sollen nur solche Inhalte, bei denen es konkrete Anhaltspunkte für die Erfüllung eines Straftatbestandes gibt und die anhaltende negative Auswirkungen auf die Ausübung der Meinungsfreiheit in den sogenannten sozialen Medien haben können. Zusätzlich soll das Zugänglichmachen kinderpornografischer Inhalte erfasst werden. Der Katalog der rechtswidrigen Inhalte des NetzDG soll um das Delikt der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ergänzt werden, da die Erfahrungen aus der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke 2019 gezeigt hätten, wie sehr Hetze im Netz mittlerweile auch in dieser Form ihren Ausdruck findet. 

      Der Entwurf schlägt zudem vor, den Straftatenkatalog des Strafgesetzbuches dahingehend zu erweitern, dass zukünftig auch die Androhung einer gefährlichen Körperverletzung strafbar sein kann. Auch die Billigung noch nicht erfolgter Straftaten soll erfasst werden. Öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften getätigte beleidigende Äußerungen sollen zukünftig im Höchstmaß mit zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden können. Der Tatbestand der üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens soll auch für Taten gegen Personen bis hin zur kommunalen Ebene gelten. 

      Unter dem Tatbestand Bedrohung soll zukünftig auch die Bedrohung mit einer rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert vom Tatbestand erfasst werden. Bei der Strafzumessung sollen antisemitische Motive eines Täters besonders berücksichtigt werden. In der Strafprozessordnung sollen die Regelungen über die Verkehrs- und Bestandsdatenerhebung gegenüber Telekommunikationsdiensteanbietern auf Maßnahmen gegenüber Telemediendiensteanbietern erweitert werden.

Ein Service des deutschen Präventionstages.
www.praeventionstag.de

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