28.08.2022

Mögliche Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sowie der Wirtschafts-, Energie- und Pandemielage auf die Innere Sicherheit in Deutschland

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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine möglichen Auswirkungen auf die Wirtschaft und Versorgungslage in Deutschland bergen grundsätzlich ein hohes Instrumentalisierungspotential für extremistische Spektren und staatliche Einflussakteure. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet, dass verschiedene Akteure sich zunehmend inhaltlich auf diesen Themenkomplex fokussieren und zur Mobilisierung nutzen wollen.

Das BfV verfolgt die Entwicklungen seit Kriegsbeginn sehr aufmerksam. Um auch weiterhin schnell und lageangepasst reagieren zu können, bearbeitet eine phänomenbereichsübergreifende Sonderauswertung das Thema.

Mit einer Verbindung der Themenfelder Inflation, Energie, Ukrainekrieg und Corona versuchen Extremisten aktuell, Anschluss an die Mitte der Gesellschaft zu gewinnen und für ihre Agenda zu mobilisieren. Feindbilder, die sich bereits in der Hochphase der Coronapandemie herausgebildet haben, könnten dabei einerseits übernommen, andererseits auf weitere Ziele übertragen werden.

Die Größenordnung und das Mobilisierungspotenzial möglicher zukünftiger staatsfeindlicher Proteste sind derzeit nicht fundiert prognostizierbar.

Der Präsident des BfV Thomas Haldenwang erklärt hierzu:

„In Deutschland werden wir derzeit mit Themen konfrontiert, die zu Protesten und Demonstrationen führen können. Friedliche Proteste und Demonstrationen – auch gegen Maßnahmen der Regierung – sind Ausdruck einer lebendigen Demokratie und werden durch die Verfassung ausdrücklich geschützt. Es ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes zu beobachten, ob legitime Proteste von Demokratiefeinden für ihre Zwecke gekapert werden. Das BfV beobachtet, dass eine radikalisierte Minderheit aus Rechtsextremisten, Delegitimierern, Reichsbürgern und Verschwörungs-gläubigen sich in Stellung bringt, um Themen wie den Krieg in der Ukraine, steigende Preise, Inflation und die Coronapandemie zu besetzen und zur Mobilisierung zu missbrauchen. Erschwerend kommt hinzu, dass Russland Instrumente wie Cyberangriffe und Desinformation als hybride Hebel einsetzt, um die Gesellschaft in Deutschland zu spalten. Wir beobachten genau, ob sich die verbale Agitation im Internet in einer Mobilisierung für verfassungsschutzrelevante Aktivitäten in der Realwelt niederschlägt. Bisher gibt es noch keine Anzeichen für flächendeckende staatsfeindliche Proteste oder gar gewalttätige Massenkrawalle.“

Rechtsextremismus

Im Bereich des Rechtsextremismus werden insbesondere aus dem Parteienspektrum die wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Angriffskrieges einer vermeintlichen Unfähigkeit der demokratischen Parteien zugeschrieben und Preissteigerungen etwa als Folge der Globalisierung dargestellt. Ziel ist es, Unmut und wachsende Probleme im Alltag der Bevölkerung zu instrumentalisieren, um so langfristig das Vertrauen in Staat, Regierung und Demokratie zu unterminieren. Sichtbar wird eine solche Strategie beispielsweise an der thematischen Kursverschiebung der Regionalpartei „Freie Sachsen“, die neben der Kritik an den Corona-Schutzmaßnahmen allmählich eine verstärkte Thematisierung der sozialen Frage in den Vordergrund rückt. Die Partei konstruiert dabei eine vermeintliche Entfremdung der demokratischen Parteien von der Bevölkerung und versucht, sich selbst als sozialpolitische Alternative zu inszenieren.

Das Thema Inflation wird aktuell auch verstärkt von der Partei AfD (Verdachtsfall) aufgegriffen. Bezug auf das Thema nehmen darüber hinaus etwa neurechte Organisationen wie der Verein „Ein Prozent“ (Verdachtsfall) und die „COMPACT-Magazin GmbH“ in ihren aktuellen Veröffentlichungen. Letztgenannte hebt dabei hervor, dass steigende Inflation und Energiekrise als direkte Folgen der aktuellen deutschen Sanktionspolitik gegen Russland zu sehen seien.

Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates

Nach Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen hat sich der Kern der Protestszene auf die Suche nach neuen Themenfeldern begeben, mit denen die Mobilisierungsfähigkeit des Spektrums erhalten werden kann. Hierfür eignen sich grundsätzlich solche Themen, die einen großen Teil der Gesellschaft negativ betreffen, bestenfalls im Alltag erfahrbar sind und damit sowohl ein großes Empörungspotenzial als auch eine hohe Anschlussfähigkeit generieren können. Dabei ist das Thema „Energiekrise“ präsent, allerdings bislang nicht diskursbestimmend.

Akteure aus dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ versuchen deshalb schon heute, das Themenfeld um den russischen Angriffskrieg und seine Auswirkungen auf Bevölkerung und Wirtschaft in Deutschland zu besetzen. Wie bereits im Zuge der Pandemie wird die Agitation der Szene gegen unser demokratisches System auch hier in Verschwörungserzählungen eingebettet.

Diese Entwicklungen zeigen, dass die Einrichtung des neuen Beobachtungsobjektes notwendig war.

Linksextremismus

In der linksextremistischen Szene hat das Aktionsfeld „Antimilitarismus“ seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs stark an Bedeutung gewonnen. Insbesondere Rüstungsunternehmen, aber auch die Bundeswehr und politische Parteien sind dabei im Fokus gewaltorientierter Linksextremisten. Es kam bereits zu ersten Sachbeschädigungen; mit Blockaden und Sabotageaktionen muss gerechnet werden.

Darüber hinaus spielt die weitere Nutzung fossiler Energieträger für Linksextremisten eine große Rolle. Die Szene versucht, altbekannte Narrative mit den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu verknüpfen und den legitimen demokratischen Protest zu radikalisieren. Der Verfassungsschutz hat entsprechende Aktivitäten gegen die fossile Infrastruktur im Blick.

Spionageabwehr

Russland nutzt insbesondere Fragen der Energieversorgung Europas als hybriden Hebel. Mit der gezielten Verbreitung von Falschinformationen etwa zu Gasknappheit und Preissteigerungen wird von russischen Akteuren versucht, Angst vor einer möglicherweise existenzbedrohenden Energie- oder Lebensmittelknappheit in Deutschland zu schüren. Darüber hinaus werden weiterhin Ängste und Maßnahmen, die mit der Coronapandemie verbunden sind, für entsprechende Propagandaaktivitäten genutzt.

Russische Propaganda wird im extremistischen Milieu voraussichtlich noch zunehmen und Verschwörungsnarrative befeuern mit dem Ziel, einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben. Das BfV geht davon aus, dass der russische Staat neben solchen Desinformationskampagnen auch seine politischen und militärischen Aufklärungsversuche weiter verstärken und anpassen wird.

Ein Service des deutschen Präventionstages.
www.praeventionstag.de

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