17.03.2022

"Noch ein hilfloser Aktionsplan gegen Rechtsextremismus"

Medieninformation von Prof. Dr. Klaus Wahl vom 16. März 2022

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"Noch ein hilfloser Aktionsplan gegen Rechtsextremismus

Bundesinnenministerin Nancy Faeser stellte gestern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vor. Der wiederholt etliche Versäumnisse ihrer Vorgänger. Wenn von Prävention die Rede ist, dann setzt sie erst ein, wenn es zu spät ist. Gleichsam als ob Strategien gegen Corona erst auf der Intensivstation begännen. Dabei gäbe es auch für die Prävention von Gewalt und Extremismus forschungsbasierte Alternativen.

Das Innenministerium1 will Netzwerke der Rechtsextremen zerschlagen, sie entwaffnen, Hetze im Internet bekämpfen, Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst entfernen, Deradikalisierung und Ausstieg aus der Szene fördern, Mandatsträger schützen. Wichtige Maßnahmen, besonders von Polizei und Justiz, die aber erst einsetzen, wenn Rechtsextreme gleichsam schon die Pistole in der Hand oder gar geschossen haben. Dagegen sind die Vorschläge zur Prävention so hilflos wie die alten Regierungsprogramme gegen Rechtsaußen: Vorbeugung durch politische Bildung, stärkere Medienkompetenz, Vertrauen auf die Zivilgesellschaft. Schon die früheren Programme waren unsystematisch, nicht flächendeckend, eher küchenpsychologisch als evidenzbasiert, ihre langfristige Wirkung nicht seriös evaluiert: Sie adressierten weniger Risikogruppen als bereits politisch einigermaßen Aufgeklärte. Jedenfalls lassen die Statistiken über Einstellungen, Wahlerfolge und Straftaten der Rechten am Erfolg der bisherigen Programme zweifeln2.

Wirksame Prävention darf nicht erst im Jugendalter ansetzen, wenn Weltbilder, politische Einstellungen und Gewaltbereitschaft schon sehr fixiert sein können. Die internationale und interdisziplinäre Forschung zeigt, dass latente ethnische Vorurteile schon früh in der Kindheit gelernt werden und die meisten späteren Gewalttäter schon im Kindergarten sehr aggressiv oder emotional auffällig waren. Das stand übrigens schon vor Jahrzehnten in der Schriftenreihe des Bundesministeriums des Innern3. Nachhaltig wirksame Prävention muss daher viel früher beginnen – durch bessere Frühe Hilfen für überforderte Eltern und evidenzbasiert-wirksame Sozialpädagogik in Kitas. In dieser Altersphase können breit wirkende vorpolitische Schutzfaktoren und Lebenskompetenzen von Kindern gefördert werden, darunter Sicherheits- und Selbstwertgefühle, Resilienz, Empathie, Fairness, Fähigkeiten zu Kommunikation und Konfliktlösung. So gewappnet müssen Jugendliche später nicht Persönlichkeitsdefizite in Aggression ausleben und ihr Heil bei rechten Ideologien suchen, die Angst und Frust in Stärke und Dominanz verwandeln wollen4. Dafür sind vor allem das Bundesfamilienministerium und die Sozialministerien der Länder gefordert.

Prof. Dr. Klaus Wahl hat jahrzehntelang zur Entstehung von Gewalt und Rechtsextremismus geforscht. Sein aktuelles Buch: K. Wahl: The Radical Right. Biopsychosocial Roots and International Variations. London: Palgrave Macmillan 2020

KONTAKT: Prof. Dr. Klaus Wahl (V. i. S. d. P.)
Psychosoziale Analysen und Prävention – Informations-System (PAPIS) Höllriegelskreuther Str. 1, D–81379 München, Tel. + 49 (0) 89 7237770 wahl.muc@gmail.com - https://klauswahl.hpage.com/

1 Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022): Aktionsplan gegen Rechtsextremismus https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2022/aktionsplan-rechtsextremismus.html

2 Bundesamt für Verfassungsschutz (2022): Zahlen und Fakten.

https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/zahlen-und-fakten/zahlen-und-fakten_node.html

3 K. Wahl (Hrsg.) (2001): Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus. Drei Studien zu Tatverdächtigen und Tätern. Berlin: Bundesministerium des Innern; Bundesministerium des Innern (Hrsg.) (2008): Theorie und Praxis gesellschaftlichen Zusammenhalts. Aktuelle Aspekte der Präventionsdiskussion um Gewalt und Extremismus. Berlin: Bundesministerium des Innern.

4 K. Wahl (2007): Vertragen oder schlagen? Biografien jugendlicher Gewalttäter als Schlüssel für eine Erziehung zur Toleranz in Familie, Kindergarten und Schule. Berlin: Cornelsen-Scriptor; K. Wahl/K. Hees (2009): Opfer oder Täter? Jugendgewalt – Ursachen und Prävention. München: Reinhardt; K. Wahl (2013): Aggression und Gewalt. Ein biologischer, psychologischer und sozialwissenschaftlicher Überblick. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag; K. Wahl (2020): Frühe Prävention: Teil nachhaltiger Strategien gegen Gewalt. 25. Deutscher Präventionstag Digital, 28. - 29.9.2020. DPT Infopool: Vortrag. https://dpt-statisch.s3.eu-central-1.amazonaws.com/dpt-digital/dpt-25/medien/dateien/180/Klaus-Wahl- Fruehe-Praevention-DPT-Kassel-2020-3951.pdf"

 

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