16. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Prof. Jörg Ziercke

Erich Marks
DPT – Deutscher Präventionstag
Jörg Ziercke
Präsident des Bundeskriminalamts

Heute ist Mittwoch, der 8. April 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über ihr Interesse an unseren Zwischenrufn zur Prävention.
Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Prof. Jörg Ziercke. Herr Ziercke ist seit vielen Jahrzehnte ein national wie international besonders ausgewiesener Sicherheits- und Präventionsexperte. Bis zu seiner Pensionierung war Herr Ziercke zuletzt Präsident des Bundeskriminalamtes; aktuell fungiert er als Vorstandsvorsitzender der Opferhilfevereinigung WEISSER RING.

Herr Ziercke ich begrüße Sie herzlich zu diesem Zwischenruf und darf Sie mit Blick auf Ihr aktuelles Ehrenamt fragen, wie Sie die Arbeit des Weißen Rings in diesen Krisenzeiten aktuell erleben?
Die größte Herausforderung für die Ehrenamtlichen im Weißen Ring in dieser Krise ist das Thema Social Distancing. Vor allem auch deshalb, weil die Altersgruppe der Opferhelfer überwiegend zur Risikogruppe gehört. Der persönliche mitmenschliche Kontakt mit dem Opfer muss derzeit weitgehend durch das Gespräch per Telefon, den Austausch von Mails oder durch Einhaltung der Abstandsregel gewährleistet werden. Wir bewerben daher unser Opfertelefon und die Onlineberatung sehr stark, haben unsere festen Mitarbeiter ins Home-Office geschickt und uns technisch so aufgerüstet, dass die administrative Opferhilfe im absoluten Ernstfall für ca. 400 Außenstellen und 3000 Opferhelfer vollständig von der Bundesgeschäftsstelle in Mainz aus koordiniert werden kann. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Kriminalprävention. Wir warnen verstärkt vor den Auswirkungen der häuslichen Gewalt an Frauen und Kindern und betrügerischen Machenschaften durch den Missbrauch der Angst der Menschen.

Welche Präventionsaspekte erscheinen Ihnen aktuell besonders wichtig?
Durch die Isolation und Quarantäne in fast allen Haushalten gehen wir davon aus, dass es zu einem sehr deutlichen Anstieg der Fälle häuslicher Gewalt kommen wird. Die Corona-Krise zwingt die Menschen, in der Familie zu bleiben, hinzukommen Stressfaktoren wie finanzielle Sorgen und Zukunftsunsicherheit. Diese Spannung kann sich in Gewalt entladen. Unsere Opferhelfer kennen das von Festtagen wie Weihnachten: Wenn die Menschen tagelang zu Hause sind, gehen die Fallzahlen in die Höhe. Die Kontaktsperre wegen Corona dauert aber sehr viel länger als Weihnachten, die Stressfaktoren sind auch größer, u.a. durch die Ungewissheit, wie lange die Sperre andauern wird. Wir müssen deshalb leider mit dem Schlimmsten rechnen. Die Gewalt geschieht jetzt – sichtbar wird sie aber erst, wenn die Kontaktsperren aufgehoben sind. Das zeigen die Erfahrungen unserer Opferhelfer nach den Weihnachtstagen: Betroffene melden sich häufig nicht, solange sie mit den Tätern auf engem Raum zusammensitzen.

Zusätzlich nutzen Trickbetrüger aktuell die Unsicherheit der Menschen wegen des Corona-Virus schamlos aus. Dabei ist der Erfindungsreichtum der Täter groß. Sie klingeln beispielsweise als falsche Mitarbeiter vom Gesundheitsamt an Türen, um einen angeblichen Coronatest durchzuführen und entwenden dabei Bargeld und Wertsachen. Durch einen Anruf eines vermeintlichen Enkels mit der Bitte um Geld für die Finanzierung von Corona-Medikamenten, werden Betroffene unter Druck gesetzt, Geld an einen Boten zu übergeben. Außerdem locken im Netz die Täter mit dubiosen Schnäppchen von Atemschutzmasken oder Desinfektionsmitteln. Die Varianten der verschiedenen Betrugsmaschen ändern sich derzeit ständig, umso wichtiger ist es uns als Opferhilfsorganisation die Tricks, Lügen und Täuschungsmanöver der Betrüger aufzuzeigen und Betroffenen zur Seite zu stehen. Für uns ist Kriminalprävention der beste Opferschutz.

Was ist das zentrale Anliegen Ihres heutigen Zwischenrufes?
Opfer von Gewalt oder anderen Formen kriminellen Unrechts zu werden, kann Sicherheit und Selbstwertgefühl eines Menschen nachhaltig erschüttern und als Folge die Lebensgrundlagen entziehen. Der Weiße Ring stellt wegen der Coronakrise seine Hilfe nicht ein. Viele Folgen von Straftaten sind für Betroffene und ihre Angehörigen irreparabel. Wir stehen für alle Kriminalitätsopfer weiter zur Verfügung.  Außerdem möchten wir bereits im Vorfeld einer Straftat durch Maßnahmen der Kriminalprävention Menschen schützen. Durch die Corona-Krise sind wir in einer außergewöhnlichen Situation und der Blick richtet sich derzeit verstärkt auf das Gesundheitswesen, was gut und richtig ist. Dennoch möchten wir auf Themen wie Häusliche Gewalt und die vielfältigen Betrugsmaschen, die derzeit im Umlauf sind, aufmerksam machen. Wir sensibilisieren für die verschiedenen Themen, klären über die Maschen der Betrüger auf, um dadurch Straftaten zu verhindern und somit potenzielle Opfer zu schützen.

Abschließend wäre ich Ihnen noch dankbar für eine kurze zusammenfassende Aussage zu Ihrem heutigen Zwischenruf.
Bei all den wirtschaftlichen Fragen und Nöten, die uns alle zu Opfern dieser Krise machen, dürfen diejenigen nicht in Vergessenheit geraten, die durch kriminelle Taten zusätzlich geschädigt werden.  Unsere Botschaft lautet: Auch in der jetzigen Zeit ist der WEISSE RING für Opfer da – über unser Opfer-Telefon, die Onlineberatung und die 400 Außenstellen finden Betroffene Unterstützung. Wenn jemand Opfer einer Straftat wird, kann der WEISSE RING schnell und direkt helfen. Ich habe die große Hoffnung, dass diese Krise den Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft in der Gesellschaft nachhaltiger stärkt als jemals zuvor. Ich bin deshalb davon überzeugt, dass am Ende dieser Krise das Ehrenamt einen neuen gesellschaftlichen Aufschwung erleben wird.

Herr Professor Ziercke, haben Sie herzlichen Dank für Ihren Zwischenruf und bleiben Sie gesund.

www.weisser-ring.de
Opfer-Telefon: 116 006
Onlineberatung: https://weisser-ring.de/hilfe-fuer-opfer/onlineberatung

Zitation

Bitte beziehen Sie sich beim Zitieren dieses Dokumentes immer auf folgende URL: https://www.praeventionstag.de/dokumentation.cms/5237

Hinweis zum Urheberrecht:

Für Dokumente, die in elektronischer Form über Datennetze angeboten werden, gilt uneingeschränkt das Urheberrechtsgesetz (UrhG).
Insbesondere gilt: Einzelne Vervielfältigungen, z.B. Kopien und Ausdrucke, dürfen nur zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch angefertigt werden (Paragraph 53 Urheberrecht). Die Herstellung und Verbreitung von weiteren Reproduktionen ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Urhebers gestattet.
Der Benutzer ist für die Einhaltung der Rechtsvorschriften selbst verantwortlich und kann bei Mißbrauch haftbar gemacht werden.

verwandte Schlüsselbegriffe

Zwischenrufe