32. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Bliesener

Prof. Dr. Thomas Bliesener
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) e.V.
Erich Marks
DPT – Deutscher Präventionstag

Heute ist Mittwoch, der 19. August 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über Ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention in Zeiten der Corona-Epidemie und von COVID-19.

Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon den Psychologen Prof. Dr. Thomas Bliesener. Herr Bliesener ist Professor für interdisziplinäre kriminologische Forschung an der Universität Göttingen und Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN) sowie  im Ehrenamt amtierender Präsident der Kriminologischen Gesellschaft, der wissenschaftlichen Vereinigung deutscher, österreichischer und schweizerischer Kriminologen.

Herr Bliesener, ich begrüße Sie herzlich, danke Ihnen für Ihre Bereitschaft zu diesem Zwischenruf und darf Sie zunächst fragen, welche Präventionsaspekte ihnen aktuell und generell besonders wichtig erscheinen.
Als Psychologen und Kriminologen treibt mich vor allem die Frage um, wie wir als Gesellschaft verhindern können, dass sich bei Jugendlichen und manchmal sogar schon bei Kindern Prozesse und Lebensumstände entwickeln und verfestigen, die ein Abgleiten in eine dauerhafte Kriminalität begünstigen. Wir wissen, dass ein gewisses Maß an grenzverletzendem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen typisch ist. Das muss wohl auch so sein, damit die Grenzen für sich und andere erkannt werden. In den allermeisten Fällen wächst sich dieses Experimentierverhalten aus. Für einige junge Menschen ist der Weg zurück in die Normbefolgung aber erschwert. Häufig gilt dies, weil eigene Schwächen und Problemlagen nicht durch das Umfeld (Familie, Schule etc.) kompensiert werden können oder deutliche Anreize für Normbrüche (z.B. durch die Freundesgruppe) geboten werden.

Was ist das zentrale Anliegen Ihres heutigen Zwischenrufs?

Präventionsakteure müssen wieder sichtbar werden

Was meine ich damit? Wir erleben aktuell an den Schulen die Rückkehr in den Regelbetrieb. Die Schulen sind derzeit erheblich mit den organisatorischen Problemen der Pandemiebekämpfung beschäftigt. Auch der Aufbau von online-Lehrangeboten ist noch längst nicht abgeschlossen und kostet Ressourcen. Traditionell ist die Schule aber nicht nur der Ort der Wissensvermittlung sondern auch der Erziehung im Sinne einer Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung. Im Zusammenhang damit haben die Schulen bereits früh auch Aufgaben übernommen, Kinder und Jugendliche zu stärken und soziale Kompetenzen zu vermitteln. Daraus ist eine breite Palette präventiver schulischer Angebote hervorgegangen. Diese Angebote reichen von der Förderung des Gesundheitsverhaltens über den Sexualkundeunterricht (mit Aufklärung über die Vermeidung sexuell übertragener Krankheiten) bis zur Förderung sozialer Kompetenzen. Gerade letztere Angebote haben sich auch als wirksam in der Prävention sozialschädlichen und strafbaren Verhaltens erwiesen.

Diese Angebote wurden mit der Corona bedingten Aussetzung des Präsenzunterrichts an den Schulen unterbrochen. Anders als für den klassischen Unterricht steht eine Wiederaufnahme dieser Angebote jedoch nahezu völlig aus. Die Schulen haben im Moment schlicht andere Probleme.

Andere Gruppen von Akteuren in der Kriminalprävention sind die Polizeien, die Kommunen und die freien Träger. Auch hier sind in der Vergangenheit zahlreiche Angebote für Kinder und Jugendliche entwickelt worden, um frühem delinquenten Verhalten zu begegnen und Stütz- und Hilfsangebote für die Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu machen. Auch diese Angebote sind vielfach zugunsten coronabedingter Mehraufgaben oder auch wegen der Kontakt- und Umgangsbeschränkungen ausgesetzt worden. 

Da ein Ende der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie derzeit nicht absehbar ist, erscheint es mir dringend notwendig, neue Konzepte für diese Präventionsangebote zu entwickeln, die auch unter den derzeitigen und eventuell zukünftigen Einschränkungen des sozialen Lebens von Kindern und Jugendlichen ein erfolgversprechendes Arbeiten ermöglichen. Dies erscheint mir umso dringlicher, als neueste Studien zu den Lebensumständen von Kindern und Jugendlichen zeigen, dass deren Kontakt zu Gleichaltrigen durch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung erheblich reduziert wurde. Für die gesunde und kompetente Sozialentwicklung ist dieser Kontakt jedoch ganz entscheidend.      

Wenn uns dieses erneute Sichtbarmachen der Präventionsakteure in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen nicht gelingt, befürchte ich, dass wir Kohorten von Kindern und Jugendlichen großziehen, denen notwendige Unterstützungsangebote versagt geblieben worden sind.

Abschließend bitte ich Sie um eine kurze zusammenfassende Aussage zu Ihrem heutigen Anliegen:
Bedingt durch die aktuelle Lage, müssen ich auch kriminalpräventive Angebote neu gedacht werden. Wir brauchen neue Konzepte, die auch unter Bedingungen der aktuellen Kontakt- und Umgangsbeschränkungen funktionieren und Wirkungen entfalten und für die Zielgruppe attraktiv sind.

Herr Bliesener, haben Sie herzlichen Dank für diesen Zwischenruf und bleiben Sie gesund.

 

 


Zitation

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