Solidarität leben – Vielfalt sichern
02/03 Juni 2008
  • 2.847 Kongressteilnehmende und Besucher*innen davon 80 aus 27 Staaten
  • 121 Referierende
  • Festvortrag des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble
  • Abschlussvortrag „Verantwortung in der Wirtschaftskrise – Wie belastbar ist die Soziale Marktwirtschaft?“ von Prof. Dr. Dr. Michael Aßländer
  • 3. Annual International Forum (AIF)
  • 107 Vortragsbeiträge (Vorträge, Projektspots)
  • 139 Ausstellungsbeiträge (Infostände, Infomobile, Sonderausstellungen)
  • Bühnenveranstaltungen und DPT-Universität
  • Filmforum
  • 5 Begleitveranstaltungen
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Am 8. & 9. Juni 2009 wurde der 14. Jahreskongress im Hannover Congress Centrum (HCC) abgehalten und war somit zum dritten Male in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover zu Gast. Die Schirmherrschaft lag erneut bei Ministerpräsident Christian Wulff. Der Festvortrag wurde vom damaligen Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble gehalten. Dies erfolgte unter dem Schwerpunktthema „Solidarität leben – Vielfalt sichern“.

25 Jahre Deutscher Präventionstag
Ein Beitrag von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer

Soziologe und Erziehungswissenschaftler,  Gewalt- und Präventionsforscher; Initiator und Forschungsprofessur des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld

 

Zur Notwendigkeit von Konstanten in der Vielfältigkeit – Kleine Anmerkungen zum großen Jubiläum

Der Deutsche Präventionstag (DPT) besteht nun 25 Jahre und dies ist ein Anlass zum Feiern und zur Gratulation an die Organisatorinnen und Organisatoren, allen voran Erich Marks, die eine unbezahlbare Plattform für unzählige Praktikerinnen und Praktiker geboten haben. Der DPT war und ist – aus einer gewissen Distanz betrachtet – ein besonderes Kommunikationsereignis und vielfach wichtiger als die Fachvorträge selbst. Das muss wahrlich kein Nachteil sein, wie die eigenen Erfahrungen von zahllosen Konferenzen im Wissenschaftsbereich zeigen.

Bei Jubiläen befindet sich ein Kommentator unter einem gewissen Nettigkeitszwang, der dazu führen kann, nachsichtig kritische Anregungen für Weiterentwicklungen zu unterlassen. Nun sind die Organisatorinnen und Organisatoren rund um Erich Marks sicherlich selbstkritisch genug, um nicht nur Nettes zu erwarten.

Deshalb möchte ich kurz das Verhältnis von Vielfältigem und Konstantem zur Sprache bringen.

Ganz offenkundig ist notwendigerweise das Kennzeichen des DPT die Vielfältigkeit von Präventionsideen, konzeptionellen Ansätzen und umgesetzter praktischer Arbeit in vielen Lebensbereichen, in denen Schädigungen von Kindern und Jugendlichen vorkommen. Ob dabei immer klar ist, was proaktive Prävention ist (wenn also z.B. noch nichts Zerstörerisches passiert ist, obwohl das Potential der Zustände es vermuten lässt) und reaktiver Intervention (wenn also z.B. weiteres Zerstörerisches verhindert werden soll) lasse ich mal offen, weil diese notwendigen Unterscheidungen auch verschiedene Konzepte verlangen – und die Förderungsquote sinken könnte, wenn Potentielles im Schwange ist, aber Politik immer nur nachträglich aktiv wird, weil alles andere eher mit Verschwendung von Steuergeldern assoziiert wird. Dies gehört zur verquasten Logik des politischen Förderbetriebes.

Die positive Vielfältigkeit hat aber auch Nachteile, wenn sie nicht in Verbindung mit Konstanten betrieben wird.

Hier setzen zwei kritische Impulse an, die für stärkere zukünftige Konstanten werben wollen.

Der erste betrifft die „fortschreibende“ wissenschaftliche Berichterstattung über gesellschaftliche Zustände am Anfang eines jeden DPT. Darin sollten Beschreibungen von neuen oder verstärkten problematischen Entwicklungen enthalten sein, die idealerweise mit Reflexionen von praktischer Seite begleitet sein sollten, denn es ist wahrlich eine offene Frage, ob z.B. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigentlich die relevanten Folgerungen aus gesellschaftlichen Zuständen für die Problemlagen etwa in der Sozialarbeit, der politischen Bildung etc. angemessen beschreiben. Das Ansinnen ist es, das komplizierte Verhältnis von Wissenschaft und Praxis neu – entlang von aufgetauchten oder verschärften Problemlagen – zu denken. Die Paradigmen von Wissenschaft und Praxis haben bekanntlich ganz unterschiedliche Belohnungslogiken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden belohnt, wenn ihre Theorien oder empirischen Arbeiten möglichst weitreichend sind, also z.B. viele Tatbestände erklären. Dazu müssen sie häufig die Komplexität von Problemen reduzieren. Praktikerinnen und Praktiker dagegen erhalten ihre Belohnung dadurch, dass sie den Einzelfall mit all seiner Komplexität lösen oder zumindest so bearbeiten, dass es keine weitere Verschärfung von Problemlagen gibt.

Diesem Problemfeld – so die „Werbung“ – sollte sich der DPT verstärkt widmen, weil in Zeiten schnellen Wandelns kein schlichtes Weiter-So möglich ist. Wie notwendig das wäre, lässt sich z.B. an den massiven Qualitätsveränderungen rechter Bedrohungsallianzen aufzeigen, die in der Praxis von Prävention und Intervention aufgegriffen werden müssten, um nicht den „Innovationen“ in diesem gesellschafts- und demokratiegefährdenden Bereich hinterher zu hecheln. Dazu gehören u.a. die Ausdifferenzierung des politischen Angebotes auch für die rohe Bürgerlichkeit, Modernisierungen historischer Ideologien, neue Ausweitungsstrategien von Resonanzen in sozialräumlichen Kontexten, Flexibilisierung von Kommunikationsformen, Steigerung der Mobilisierungsfähigkeit, um nur einige zu nennen¹. Diese Qualitätsänderungen erfordern erhebliches Umdenken auch in „eingefahrenen“ Präventions- und Interventionsansätzen, denn Kontinuität ist kein „Wert an sich“. Also, ein „Weiter wie bisher“, kann es so nicht geben, weil die rechten Bedrohungsallianzen durchaus teilweise in die Offensive gekommen sind und an Normalisierungsprozessen arbeiten. Dann hilft gar nichts mehr, denn es gilt ja: Alles was zu einem bestimmten Zeitpunkt als normal gilt, kann man nicht mehr problematisieren.

In der Konsequenz würde das für den DPT bedeuten, die Gelegenheit zu bieten, diese Qualitätsveränderungen auch in anderen Bereichen wahrzunehmen und konzeptionell umzusetzen.

 

Und hier setzt der zweite kritische Impuls an. Er betrifft die elaborierte Evaluationsforschung². Es ist ein altes, ungelöstes Thema:  Das Verhältnis zahlreicher „Präventionsakteure“ zu einer elaborierten Evaluationsforschung, die auch manche Fehlentwicklungen aufdecken kann, ist immer noch zu sehr auf Abwehr getrimmt. Das ist kein Ausdruck von Professionalität, denn es ist ein Gemeinplatz, dass soziale Prozesse gewissermaßen  „vollgestopft“ sind mit unkalkulierbaren Einflüssen, die nicht jede Aktivität zum Erfolg werden lassen.

Da ist es immer noch merkwürdig, dass sich diese Abwehr in der Praxis mit einer gewollten Vernachlässigung von elaborierter Evaluation bei den politischen Finanzgebern verbindet.

Dies ist eine unheilige Allianz, die eines nicht befördert: die Verbesserung von Praxis – einschließlich einer notwendigen Beendigung von Maßnahmen, wenn sie nichts dergleichen erkennen lassen.

Die Probleme beginnen schon bei der Entwicklung von Förderprogrammen. Die Forderung ist nicht neu, aber vor den Förderentscheidungen müssten die Evaluationsstrategien feststehen, bevor die Antragsteller ihre Anträge stellen, so dass diese wissen, worum es gehen wird. Dadurch wird auch eine Art „Schrottschuss-Logik“ verhindert zur Prävention: „Irgendwas wird schon zutreffen“.

Dagegen steht auch eine Logik des politischen Förderbetriebes. Sie besagt, dass alle Aktivitäten von Regierenden, in diesem Fall der Förderung von Präventionsprojekten, als ein Erfolg dargestellt werden müssen, denn man will ja wiedergewählt werden. Dies ist kein Ausweis von Souveränität bei  politischen und ministerialen Entscheidern.

Insofern gibt es immer noch eine klammheimliche Koalition von ablehnungsstarken Präventionsakteuren und legitimationsheischenden Förderentscheidern. Eine positive Fehlerkultur gibt es weder auf der einen noch der anderen Seite – und die Evaluationsforschung sitzt zwischen allen Stühlen.

Auch ein „Demokratiegesetz“ zur langfristigen Förderung von Prävention und Intervention z.B. gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und rechtsextremistische Umtriebe wird keine Fortschritte bringen, wenn weder der erste noch der zweite Impuls hinreichende Berücksichtigung findet.

Was bedeutet dies für den DPT?

Es wäre dringend geboten, dass der DPT gewissermaßen als „Trommler“ für eine andere Sicht auf die elaborierte Evaluationsforschung auftritt – und sich gegen Alibi-Evaluationen stellt.

Dem DPT wäre beim 50jährigen Jubiläum zu wünschen, dass dann solche kritischen Anmerkungen als absurd und überflüssig abgetan werden könnten.

Ich werde mir den Termin schon mal vormerken.

 

1 Heitmeyer/Freiheit/Sitzer (2020): Rechte Bedrohungsallianzen, S. 266-280, (Suhrkamp)

2 Strobl/Lobermeier/Heitmeyer (Hrsg.) (2012): Evaluation von Programmen und Projekten für eine demokratische Kultur, (Springer)