Sport und Prävention
8/9 Mai 2006
  • 2.222 Kongressteilnehmende und Besucher*innen davon 37 aus 14 Staaten
  • 83 Referierende
  • 49 Vortragsbeiträge
  • 123 Ausstellungsbeiträge (Infostände, Infomobile, Sonderausstellungen)
  • Eventbühne
  • Aktionsfläche „Sport und Prävention“
  • Filmforum
  • 3. DPT-Kinder- und Jugenduniversität
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Der 11. Deutsche Präventionstag wurde am 8. & 9. Mai 2006 im CongressCenter Nürnberg durchgeführt. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber übernahm die Schirmherrschaft des Kongresses. Dieser war befasst mit dem Schwerpunktthema „Sport und Prävention“. Hierzu wurde eine zusätzliche Aktionsfläche angeboten und rege genutzt. Der Abendempfang fand im Historischen Rathaussaal und der Ehrenhalle der Stadt Nürnberg statt.

25 Jahre Deutscher Präventionstag
Ein Beitrag von Nina Reip und Martin Schönwandt

Nina Reip, Leiterin der Geschäftsstelle Netzwerk Sport & Politik für Fairness, Respekt und Menschenwürde bei der Deutschen Sportjugend (dsj)

Martin Schönwandt, ehemaliger Geschäftsführer der Deutschen Sportjugend (dsj)

„Sport und Prävention“ oder „Prävention und Sport“?

Einleitung

„Sport und Prävention“ oder „Prävention und Sport“? Was spitzfindig anmuten mag, ist vielmehr Ausdruck dessen, dass in diesem Arbeitsfeld zwei Handlungsansätze recht ambivalent miteinander verbunden sind, die jeweils durch eine hochwirksame Eigenlogik geprägt sind. Aus Sicht der Prävention steht die Frage im Vordergrund, ob Sport und wenn ja, wie Sport im jeweiligen Problembereich präventiv wirkt. Für die Akteur*innen im Sport steht das Medium „Sport“ selbst und sein sozialer Kontext an erster Stelle. Auch hier gibt es das Bewusstsein, dass, mit einem entsprechend inszenierten Sportangebot, präventive Wirkungen entfaltet werden können. Sport kann in diesem Sinne also präventiv wirken, es ist aber nicht seine primäre Aufgabe.
Als Mitarbeiterin der Deutschen Sportjugend und Referentin des Netzwerks „Sport & Politik für Fairness, Respekt und Menschenwürde“[1] sowie als Experte für Kinder- und Jugendarbeit im Sport erlauben Sie uns zu versuchen, den Brückenschlag zwischen den beiden Bereichen und Perspektiven auszuleuchten.

Prävention und Sport

Sport im Allgemeinen kann für das Tätigkeitsfeld der Gesundheits- oder Gewaltprävention[2] ein hochattraktiver Schlüssel für eine wirksame Arbeit sein. So können wohl nahezu alle Zielgruppen über den Sport oder durch den Sport angesprochen und erreicht werden. Die enorme Vielfalt sportiver Praxen, realisiert in einer ebenso großen Vielfalt sozialer Settings, eröffnet allen Interessierten einen Zugang zum Sport, über jede Alters- oder andere soziale und personelle Grenzen hinweg. Gerade die soziale und organisatorische Struktur des Sports ist mannigfaltig - ob Anbieter*innen auf dem freien Markt oder gemeinnütziger, organisierter Vereinssport mit rund 27,8 Millionen Mitgliedschaften oder in loser Absprache selbstorganisiert - für jede Vorliebe ist ein Angebot vorhanden und im sozialen Nahraum erreichbar. Körperliche Aktivitäten (nach vereinbarten und anerkannten Regeln) – also sportliche Handlungen – haben zudem einen Wert an sich. Mit dem Blick auf junge Menschen ist der Ausdruck über den eigenen Körper zentral für die meisten Jugendkulturen. „So verwundert es einen auch nicht, dass in der Sozialen Arbeit, in der Präventionsarbeit wie in der Jugendarbeit schlechthin, sport-, körper- und bewegungsbezogene Konzepte zunehmend an Bedeutung gewinnen.“[3]

Diese Qualitäten von Sport sind den Akteur*innen im Präventionssektor wohlbekannt. Davon zeugen die Angebote, die sich von Gesundheitskursen bis Gewaltpräventionsprogramme erstrecken. Dabei ist die Präventionsperspektive jeweils, je nach Ausgangsproblem, auf eine spezifische Ausprägung des Sports fokussiert, zum Beispiel auf den Sport als Mittel zum Schutz vor Krankheiten und Sucht oder vor sexualisierten Übergriffen und anderen Formen von Gewalt. Mit Blick auf mögliche Zielgruppen laufen Kinder und Jugendliche dieser Logik nach tendenziell Gefahr, übergewichtig oder gewalttätig zu werden. Erwachsene Menschen werden in diesem Sinne als potenzielle Täter*innen in den Blick genommen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die präventive Perspektive generell aus Problemlagen abgeleitet und mithin sicherheits- und defizitorientiert ist. Die politische Agenda und thematischen Konjunkturen prägen oftmals die Präventionslandschaft, auch auf Grund struktureller Abhängigkeiten.
Natürlich gehört zur staatlichen Fürsorgepflicht der Bundesrepublik Deutschland, die Bewohner*innen des Landes zu schützen, sie bedarfsgerecht zu fördern und zu unterstützen, Teilhabe zu ermöglichen, Ungleichheiten zu begegnen und insgesamt ein sicheres Umfeld zu schaffen. Dies ist auch im Sinne des gemeinnützigen, organisierten Sports, der selbst auch Träger der unterschiedlichsten Präventionsprogramme ist. Die staatlich aufgelegten Präventionsprogramme sind neben der jeweilig immanenten Zielstellung, beispielsweise dem Schutz vor einer Überzahl an Herz-Kreislauferkrankungen in der Bevölkerung, auch oftmals zu einer wichtigen Finanzquelle für die Trägerorganisationen geworden. Statt zeitlich begrenzter Maßnahmen sind sie nun ein Dauerrepertoire beim Umgang mit gesellschaftlichen Missständen.

Präventive Arbeit ist meist in hauptberufliche Strukturen eingebunden. Manche Sportvereine bieten beispielsweise professionelle Gesundheits- und Rehakurse an. Andere Sportvereine können, vor allem wenn sie rein ehrenamtlich getragen werden und sich nicht auf Präventionsarbeit in ihren verschiedenen Facetten spezialisiert haben, nicht die jeweiligen Qualitätskriterien einer guten, präventiven Arbeit verbindlich einhalten. Dennoch bietet Sport in seinem Selbstverständnis viel mehr als (Primär-)Prävention. Und Prävention ist mehr als nur „Fußballspielen“.
Die mit dem Sport verbundenen Optionen sind im Präventionsbereich oftmals nicht im Blick, könnten sich aber erschließen, wenn man dem Gedanken Raum geben würde, dass sich Lösungen für Probleme in der Regel nicht aus der Struktur der Probleme entwickeln lassen. Insofern lieget im Einfallsreichtum und der sozialen Verankerung des vereins- und verbandsorganisierten Sports noch viel unentdecktes Potenzial für jede präventive Praxis, die allerdings nur in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit realisiert werden kann. Diese Zusammenarbeit braucht dabei einen klaren Blick auf die spezifischen Gegebenheiten, Funktionslogiken und Zwänge. Daraus kann so eine gemeinsame Arbeit auf Augenhöhe und ein Ausgleich von vorhandenen Ressourcen der jeweiligen Akteur*innen erwachsen. Eine solche Kooperation zwischen beispielsweise Sozialer Arbeit und Sportvereinen kann dann freiwillig ehrenamtlich Engagierte entlasten, Sportexpertise teilen und hauptamtliche Mitarbeiter*innen der Sozialen Arbeit (neue oder andere) Zugänge zu Zielgruppen ermöglichen oder gesellschaftliche Räume eröffnen. Denn Sportvereine sehen sich als Teil der Zivilgesellschaft mit jenen gesellschaftlichen Phänomenen konfrontiert, die in ihrem Sozialraum auftreten. Nicht alle Vereine haben das nötige Rüstzeug, auf sämtliche, sie betreffende Herausforderungen eine passende Antwort zu finden. Oder es fehlt die Zeit, eine intensive Beziehungsarbeit im Sinne einer professionellen Sozialen Arbeit über das übliche und gelebte Maße hinaus im Erwachsenenbereich zu betreiben. Die Präventionsarbeit oder Soziale Arbeit haben diese Ressourcen bereits aufgebaut, ist dies doch Kern ihrer Arbeitsfelder.

In Bezug auf Kinder- und Jugendarbeit sind mancherorts sogenannte Bildungslandschaften entstanden, also kommunale Räume, in denen Politik, Verwaltung, Kita, Schule, Kinder- und Jugendhilfe, Prävention, Sportvereine und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen wie THW, Kirche, Freiwillige Feuerwehr, Kultur etc. eng im Sinne eines guten Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten.[4] Auch ein solches Format zeigt, dass von einem Miteinander vor Ort alle profitieren, wenn sie ihre Tätigkeitsfelder, Eigenlogiken und Ressourcen wahrnehmen und anerkennen und es entsprechende etabliere Räume zum gemeinsamen Austausch gibt.

Sport und Prävention

Dem Sport innewohnend ist der Blick auf die Potenziale derjenigen, die ihn tragen, ihn organisieren und ausüben. Nur so kann ein gewisser Leistungsanspruch erfüllt werden, der nicht zwingend Spitzensport zum Ziel haben muss, sondern auch auf die allgemeine sportliche und personelle Entwicklung der Sporttreibenden abzielen kann. Ob der Sport als präventive Maßnahme durchgeführt, durch kommerzielle Anbieter*innen offeriert oder im Sportverein als Teil einer gemeinnützigen, organisierten Sportlandschaft in Deutschland angeboten wird, macht hier keinen Unterschied. Der Blick auf die Potenziale von Sportler*innen und des Sports selbst bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass der Sport selbst frei wäre von problematischen Einstellungen und Handlungen. Sexualisierte Gewalt, exklusive Gesinnungsgemeinschaften, Heteronormativität oder extreme Formen von Körperoptimierung sind (auch) hier, beispielhaft aufgeführt, zu finden. Sport trägt somit beide Anteile in sich, die Potenziale und ein destruktives Verhalten.
Der Sport steht, wie viele andere Lebens- und Lernorte auch, in einem großen Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Formen der individuellen Lebensgestaltung, den Anforderungen an ein gelingendes Zusammenleben im Sozialraum und der Abgrenzung von menschenunwürdigem Verhalten. Der gemeinnützige, vereins- und verbandsorganisierte Sport ist sich dessen bewusst und sucht gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Akteur*innen aktiv und mit großem Einfallsreichtum nach passenden Antworten.

Idealerweise wirkt der Sportverein also als eigenständiger, nicht-formaler Lern- und Lehrkontext mit freiwilligem Charakter und als Ort des demokratischen und sozialen Miteinanders. Der gemeinnützige, organisierte Sport ist dabei der größte zivilgesellschaftliche Akteur in der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt bundesweit rund 90.000 Sportvereine; vereinfacht gesagt finden wir nahezu in jeder Kommune und in jedem städtischen Quartier mindestens einen Sportverein. Sportvereine sind dabei individuell zusammengesetzte Wahlgemeinschaften. Die Gesamtheit des gemeinnützigen, organisierten Sports ist dabei hochgradig differenziert und vielfältig. Im bundesdeutschen Querschnitt werden alle gesellschaftlichen Phänomene und individuelle Lebensentwürfe in den Sportvereinen zu finden sein.

Sportverbände und -vereine haben in erster Linie das Ziel, das (gemeinsame) Sporttreiben im gesellschaftlichen Raum auf Grundlage eines allgemeingültigen Wertekanons zu ermöglichen. Das ist die Basis aller Sportvereine und -verbände; aus diesem Grund werden sie auch als gemeinnützig anerkannt. So manche Sportvereine existieren bereits seit Jahrzehnten, teilweise seit über 100 Jahren, trotz immer neuer Herausforderungen, mit denen die meist ehrenamtlich getragenen Strukturen umgehen müssen. Die auf den ersten Blick profane Intention des gemeinsamen Sporttreibens verfolgen Sportvereine folglich mit einem hohen Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Ob die in den 1980er-Jahren entstandene Fitnesskultur oder der Sommer der Migration im Jahr 2015 – Sportvereine und -verbände haben sich den neuen gesellschaftlichen Bedarfen und Notwendigkeiten gestellt und wirksame Antworten über Leuchtturmprojekte hinaus in ihrer alltäglichen Arbeit entwickelt. Die sich stets wandelnde Jugendkultur, die so neue Sportarten, individuelles Sporttreiben im öffentlichen Raum und Digitalisierung schafft und verankert, ist dabei eine treibende Kraft.

Mit gesondertem Blick auf das Verhältnis von Kinder-/Jugendsport und Prävention kann festgestellt werden, dass Kinder- und Jugendarbeit im Sport in hohem Maße Sozialisation und Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen bedeutet. Auch die Anerkennung der Expertise von jungen Menschen, das Aufgreifen der für sie relevanten Themen, die Schaffung eines kommunikativen Alltags und die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung gehören zu einer guten Kinder- und Jugendarbeit. »Gemeinsame sportliche Aktivitäten stärken […] das soziale Verhalten und sie bieten Möglichkeiten, Werte wie Vielfalt und Respekt zu vermitteln und Toleranz zu fördern.«[5] In dieser komplexen pädagogischen Arbeit im Sport würde eine reine Gesundheits- oder Sicherheitsperspektive zu kurz greifen. Im Gegenteil, die Kinder- und Jugendarbeit im Sport darf, soll und muss weit gedacht werden. Sie ist ein Ermöglichungs- und Lernraum, über das formale Bildungsverständnis hinaus, und aus diesem Grund so wertvoll. Jugendkultur wird demgemäß als Ressource anerkannt und nicht als ein mögliches Problemfeld.

Kinder- und Jugendarbeit im Sport begleitet die Heranwachsenden in einer Gesellschaft, die komplexer wird. Nicht erst die Corona-Pandemie zeigt die hohen Leistungserwartungen, unklare Perspektiven und Strukturen für die Lebensplanung, schnellere Zeitläufe oder die Herausforderung digitaler Kommunikationsräume. Als eine Antwort darauf können junge Menschen im Sport und durch den Sport partizipativ und selbstorganisiert ihre Erfahrungsräume gestalten, Selbstwirksamkeit erfahren, Spaß haben sowie personale und soziale Kompetenzen erwerben. Welchen Wert dies hat beziehungsweise welche Konsequenzen eine pandemiebedingte Stilllegung des Kinder- und Jugendsports haben kann, wird in der kommenden Zeit wahrscheinlich ersichtlich. Verschiedene Studien zur Lage bestätigen bereits die zusätzliche psychische Belastung und den Bewegungsmangel.[6]

Die Sportstrukturen sind in der Fläche wertvolle Träger für ein gemeinschaftliches Miteinander und sie sind Stützen der Gesellschaft. Sie dienen vor allem der aktiven, freudvollen Lebensgestaltung – und können dabei präventiv wirken, müssen aber nicht zwingend Orte der Prävention sein.

Fazit: Und nun? Gelingensbedingungen und Haltungsfragen

Um die Potenziale von Sport auch zukünftig nutzen zu können, braucht es in den beiden Sphären „Sport“ und „Prävention“ ein gutes, gemeinsames Verständnis über das, was durch und mit Sport leistbar ist. Weiterhin vermeidet eine passgenaue Förderung von Sport eine Überforderung der Akteur*innen und Strukturen, also der ehrenamtlich Engagierten in den Sportvereinen.

Einige Ansätze hierzu können sein:

  • Die Herausforderungen der Corona-Pandemie müssen gerade nach der Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen in den Blick genommen werden, denn es wurde einmal mehr festgestellt: Gemeinsame (öffentliche) Räume für Bewegung und Begegnung sind für ein gutes gesellschaftliches Miteinander grundlegend. Fehlen diese, sind gesellschaftliche Spannungen vorherzusehen. Nach Rücknahme der Maßnahmen braucht es einen starken Fokus auf die Personengruppen und Strukturen, die besonders unter den Kontakteinschränkungen gelitten haben. Darunter fallen insbesondere Kinder und Jugendliche, Menschen in prekären Lebenssituationen, ältere Menschen sowie Sportvereine oder andere Orte der Begegnung und des (sozialen) Lernens (z. B. offene Jugendarbeit, Viertel-Cafés, Volkshochschulen,…). Dabei wird es politisch und gesellschaftlich einen langen Atem brauchen. Kurzzeitprogramme können die Folgen abmildern, bergen aber die immanente Gefahr der Überforderung der ehrenamtlich getragenen Strukturen und sie sind durch wenig Nachhaltigkeit gekennzeichnet.
  • Sport hat präventive Wirkungen und Präventionsprogramme sind wichtige Maßnahmen zur Begegnung gesellschaftlicher Schieflagen. Die Gesundheitsprävention beispielsweise wurde in der Corona-Pandemie oftmals als (einziges) Argument angeführt, den Sportbetrieb wieder aufzunehmen. Die Kraft des Sports ist nicht von der Hand zu weisen und wird hiermit zurecht anerkannt. Der gemeinnützige Sport hat aber nicht (nur) eine Feuerwehrfunktion und er geht über das üblicherweise engere Verständnis von Präventionskonzepten weit hinaus. Die oftmals politische Forderung an den gemeinnützigen, organsierten Sport, Präventionsarbeit im Sinne von „Gefahrenabwehr“ zu leisten, sollte mindestens skeptisch gesehen werden. Der Sport ist der professionelle Ansprechpartner für die Belange der Sporttreibenden. Seiner Funktionslogik nach braucht es weniger Kurzzeitmaßnahmen und viel mehr die Anerkennung und Förderung der strukturellen Arbeit. Wer in der Corona-Pandemie nur auf die individuelle, gesundheitsfördernde Wirkung des Sports abzielt, verkennt die Gesamtleistung von Sport und Sportvereinen. Den Fokus auf den Kinder- und Jugendsport richtend kann in diesem Kontext festgestellt werden, dass Sport- und Bewegungsmöglichkeiten in noch stärkerem Maße für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen als wertvoller und selbstverständlicher Beitrag beim Ausbau von Ganztagschulen, bei der Qualitätsdiskussion für Kindertagesstätten, beim Städtebau und bei der Verkehrsplanung systematisch mitgedacht werden sollte.
  • In manchen Regionen, in denen vor Ort keine Kirchengemeinde, keine Schulen und Kitas, Ladenlokale, Arztpraxen und Behörden mehr existieren, ist der Sportverein, vielleicht neben der Freiwilligen Feuerwehr, die letzte organisierte und erreichbare Struktur des Gemeinwesens. Den Sportvereinen übernimmt diese Rolle, sie kann ihnen aber nicht allein überlassen werden. Im Sinne der gleichwertigen Lebensverhältnisse braucht es eine Verantwortungsübernahme durch die Politik, diese Räume aktiv zu füllen. Dabei geht es auch um den öffentlichen Nahverkehr, denn oftmals braucht es das hohe Engagement von Eltern oder privat organisierten Fahrdiensten, damit Kinder und Jugendliche bestimmte Sportangebote, die vor Ort nicht (mehr) durch den Sportverein geleistet werden, erreichen können.
  • Qualitativ hochwertige Prävention in der gemeinnützigen, organisierten Sportlandschaft sollte idealerweise zeitlich begrenzte Maßnahmen umfassen, um Menschen oder Gruppen zu unterstützen, aus schwierigen Lagen herauszukommen. Eine dauerhafte Aufgabe kann dies flächendeckend eher nicht sein. Dabei kann die hauptberufliche Struktur der Präventionslandschaft immer dann ihre wirksame Kraft entfalten, wenn die jeweiligen Bedarfe und Arbeitsweisen in Sport und Präventionssektor gegenseitig anerkannt werden. Dies verbessert gleichermaßen den Zugang in die Sportstrukturen – der Schlüssel für externe Anbieter*innen. Umgekehrt können Sportvereine von den hauptberuflichen Ressourcen und von der spezifischen Fachkompetenz der Sozialen Arbeit und der Präventionsprojekte profitieren.
  • Neben der gemeinnützigen, organisierten Sportstruktur gibt es ebenso Angebote mit Sportbezug im freien Markt oder digitalen Raum. Diese Orte sind unter anderem für junge Menschen hochattraktiv. Eine professionelle, pädagogische Begleitung wird dort allerdings nicht durchweg garantiert. Junge Menschen werden hier mit antidemokratischen, gewaltvollen oder ungesunden Erlebnissen konfrontiert. Oftmals finden sie selbstständig Antworten des Umgangs. Dennoch dürfen diese Angebote keine Vakuum-Räume unserer Gesellschaft sein. Hier braucht es eine besonders gute Zusammenarbeit und Verantwortungsübernahme von Politik, Präventionsarbeit, sozialer Arbeit und Zivilgesellschaft, die bisher weitgehend fehlt.
  • Der Sport leistet viel. Mit seiner überwiegend ehrenamtlichen Organisationsstruktur ist die Ressourcenfrage zentral. Nicht alle gut gemeinten Anforderungen an die Sportvereine werden von ihnen auch automatisch übernommen. Diese Erwartung entbehrt der Anspruchsgrundlage. Sportvereine handeln auf der Basis des Mitgliederwillens in eigener Verantwortung und im sozialen Kontext. Sehr wohl kann man sie aber in partnerschaftlicher Zusammenarbeit für eine Mitwirkung an Programmen gewinnen. Dafür wäre es hilfreich, die Grundlage für die alltägliche Arbeit der Sportorganisationen abzusichern und kontinuierlich zu verbessern.
  • Anders als die Vereinsebene, stehen hier die Sportverbände in einer anderen Verantwortung, die auch bereits weitgehend übernommen wird. Die bundesweiten Sportdachverbände, die Landessportbünde und viele der Sportfachverbände bieten Präventionsprogramme mit verschiedenen inhaltlich-konzeptionellen Ausrichtungen an und setzen sich mit gesellschaftlichen Herausforderungen aktiv auseinander. Hierbei ist also grundlegend zu unterscheiden, welche Strukturebene mit welchen Anforderungen adressiert ist.
  • Die Kinder- und Jugendarbeit im Sport erkennt junge Menschen als starke Persönlichkeiten an, die bei der Bewältigung ihrer Sozialisationsaufgaben begleitet und unterstützt werden. Mit dieser Haltung werden Potenziale sichtbar gemacht, ohne vor den möglichen Gefahren die Augen zu verschließen. Diese vertrauensvolle Einstellung zum Menschen auf Grundlage eines klaren Wertekanons ist somit nicht blauäugig, sondern hochgradig gewinnbringend, auch bei dem Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen.

Nun, „Sport und Prävention“ oder „Prävention und Sport“? Ganz salomonisch: beides! Wichtig ist dabei die Anerkennung von Expertise, Arbeitsweise und Strukturen des jeweiligen Bereiches. Dies geschieht idealerweise in einem engen, fachlichen Austausch zwischen den Akteur*innen aus Sport und Präventionsarbeit sowie aus Politik und Sozialer Arbeit. Ein wichtiges Forum hierzu bietet jährlich der Deutsche Präventionstag, bei dem sich die Deutsche Sportjugend seit dem Jahr 2005 aktiv in den Dialog mit anderen Teilnehmenden begibt und seit dem Jahr 2012 Partnerin ist. Solche Formen des Fachaustausches gilt es weiterhin bewusst zu suchen und durchzuführen. Der nächste Schritt ist dann die Umsetzung vor Ort.

Literatur

Derecik, Ahmet: Sportverein als Sozialraum im Sozialraum. Fachkonferenz „Sport und Politik im Quartier. Sportvereine als Sozialraum gelebter Demokratie – Chancen und Herausforderungen“, Frankfurt am Main 2019, https://www.sportundpolitik.de/fileadmin/user_upload/dsj_sport_politik_praesentation_web__1__fin.pdf

Deutsche Sportjugend: "Persönlichkeits- und Teamentwicklung" Persönlichkeits- & Teamentwicklung im SPORT - Kernziele und Methoden für den Kinder- und Jugendsport, https://www.dsj.de/fileadmin/user_upload/Handlungsfelder/Kinder-_und_Jugendsport/PuT/dsj_Persoenlichkeits_und_Team_2020_1811.pdf

Deutsche Sportjugend: dsj-Bewegungskalender, https://www.dsj.de/kinderwelt/dsj-kinderwelt/dsj-bewegungskalender/

Deutsche Sportjugend: Für 2021-2025 den Kinder- und Jugendsport stärken. Forderungen der dsj anlässlich der Bundestagswahl 2021, https://www.dsj.de/fileadmin/user_upload/Deutsche_Sportjugend/btw21/dsj_Papier_zur_Bundestagswahl_2.pdf

Deutsche Sportjugend: Safe Sport – Ein Handlungsleitfaden zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Grenzverletzungen, sexualisierter Belästigung und Gewalt im Sport, Frankfurt a. M. 2021, https://www.dsj.de/fileadmin/user_upload/Mediencenter/Publikationen/Downloads/dsj_sexgewalt_2021_0521_2.pdf

Deutsche Sportjugend: Sport mit Courage, www.sportmitcourage.de

DOSB: DOSB unterzeichnet „Hamburg Declaration“: Gemeinsam mit einer großen Allianz setzt sich der DOSB für mehr Sport und Bewegung ein, https://gesundheit.dosb.de/service/news/news-detail/dosb-unterstuetzt-hamburg-declaration

Integration durch Sport Berlin: Ehrenamt ist Leidenschaft, https://cdn.dosb.de/user_upload/www.integration-durch-sport.de/LSBs/BerlinIdSBroschuere2021_online.pdf

Reip, Nina: Spannungsfelder im Sport, Frankfurt a. M. 2019, https://www.sportundpolitik.de/fileadmin/user_upload/sport_und_politik/inhalte/spannungsfelder_im_sport_reip.pdf

 

[1] Weitere Informationen: www.dsj.de und www.sportundpolitik.de

[2] Prävention wird in diesem Text in einer engen Lesart verstanden. Den Autor*innen ist sehr bewusst, dass Primärprävention auch oftmals mit Demokratielernen oder anderen Konzepten des sozialen Lernens gleichgesetzt wird und dass Akteur*innen im Präventionssektor eine umfassendere Haltung zu den Zielgruppen haben.

[3] Gunter A. Pilz: Sport und Gewaltprävention, Institut für Sportwissenschaft, Leibniz Universität Hannover 2011.

[4] Vgl. Prof. Dr. Ahmet Derecik, Sportverein als Sozialraum im Sozialraum, Frankfurt am Main 2019, https://www.sportundpolitik.de/fileadmin/user_upload/dsj_sport_politik_praesentation_web__1__fin.pdf

[5] Deutsche Sportjugend: Arbeitshilfe zur inhaltlichen Gestaltung von KJP-Maßnahmen, Frankfurt am Main 2020.

[6] Vgl. u. a. COPSY Studie der Child Public Health am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (2020), MoMo-Studie des KIT und der PHKA (2020).