38. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Christian Kromberg

Christian Kromberg
Deutsch-Europäisches Forum für Urbane Sicherheit e.V., Beigeordneter der Stadt Essen für Sicherheit, Recht, Verwaltung und Personal
Erich Marks
DPT – Deutscher Präventionstag

Heute ist Mittwoch, der 16. September 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über Ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention.

Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Christian Kromberg.  Herr Kromberg ist Beigeordneter für Allgemeine Verwaltung, Recht und öffentliche Sicherheit und Ordnung der Stadt Essen. Er ist Mitglied der Kommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ sowie Vorsitzender des Deutsch-Europäischen Forums für urbane Sicherheit (DEFUS).

Herr Kromberg, ich begrüße Sie herzlich, danke Ihnen für Ihre Bereitschaft zu diesem Zwischenruf und darf Sie zunächst fragen, welche Herausforderungen für die Präventionsarbeit erscheinen Ihnen aktuell und generell besonders wichtig?

Wie in vielen anderen Bereichen, sind die Kommunen auch in der Corona-Zeit die Verwaltungsebene, die in direktem Kontakt mit den Bürger*innen steht und viele in den Landeshauptstädten und Berlin getroffene Entscheidungen umsetzen muss. Und es ist die Ebene, die als erstes in die Kritik gerät und den Unmut der Bürger*innen zu spüren bekommt.

Die Corona-Pandemie ist eine Dauerkrise, die unsere Stadtverwaltung in einem Ausmaß getroffen hat, wie wir es nie erwartet hätten. Es gab kein Bereich der Verwaltung, der nicht davon berührt gewesen wäre. Wir mussten unsere kommunalen Verwaltungsstrukturen umstellen und alle Fachbereiche sind zeitweise in die Stabsarbeit übergegangen.

Die Gesundheitskrise hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der Menschen. Nur gemeinsam und in Abstimmung mit wirklich allen Verwaltungsbereichen können wir die erforderlichen und sich dauernd ändernden Hygienevorschriften umsetzen.

Was uns in der Pandemie inzwischen ganz gut gelingt, nämlich vernetzt, abgestimmt und gemeinsam handeln, das muss uns auch in anderen Bereichen wie der Prävention und Fragen der urbanen Sicherheit noch besser gelingen – und dafür brauchen die Kommunen auch Unterstützung von Bund und Ländern.

Was ist das zentrale Anliegen Ihres heutigen Zwischenrufes?

Kommunen sind maßgeblich für die alltägliche Gewährleistung der Sicherheit und des gesellschaftlichen Friedens verantwortlich. Das friedliche Zusammenleben einer immer diverser werdenden Gesellschaft zu organisieren und dabei die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nicht zu verlieren, ist eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre. Kommunen müssen die Integration verschiedener Kulturen und Lebensentwürfe leisten sowie ausdifferenzierte gesellschaftliche Bedürfnisse mittragen und managen. Hinzu kommen zunehmende Nutzungs- und Interessenskonflikte im öffentlichen Raum, die ebenfalls von der Kommune demokratisch ausgehandelt und gelöst werden sollen.

Eine Stadtverwaltung ist auch auf dem Feld der kommunalen Sicherheit ein „Gemischtwarenladen“. So sind u.a. das gesamte Feld des Katastrophenschutzes, der Schutz der Kritischen Infrastruktur, die IT-Sicherheit, die Extremismusprävention, die Organisation der Migration kommunale Aufgaben. Wir müssen unser Verständnis für die kommunale Sicherheitsproduktion überdenken und an die aktuellen Herausforderungen anpassen.

Zentraler Kernpunkt dieses neuen Denkens ist die Verwundbarkeit moderner Gesellschaften, insbesondere der Städte als hochkomplexe Lebensräume. Die hochgradigen Vernetzungen und Verflechtungen, auf denen das Leben und der Reichtum postindustrieller Gesellschaften beruhen, sind zugleich deren Schwachstelle. Die informations- und kommunikations-, versorgungs- und verkehrstechnischen Strukturen gelten als verwundbar. In Pandemiezeiten ist uns das deutlicher als je zuvor: Zirkulierenden Menschen- und Warenströme können neben vielem Guten, eben auch zur rasanten Verbreitung von Pandemien führen. Es wird von einer „inneren Verletzbarkeit“ des modernen Lebens ausgegangen. Dadurch wird es zur wesentlichen Aufgabe eines kommunalen Sicherheitsmanagements, die Leistungsfähigkeit „vitaler Systeme“ aufrecht zu erhalten. Mit einer solchen Sichtweise muss nach eine Neupositionierung der Städte als ‚Produzenten von Sicherheit‘ einhergehen.

Essen ist Mitglied im Europäischen Forum für Urbane Sicherheit, in dem sich 260 europäische Städte zusammengeschlossen haben und sich zu der allen Themen der urbanen Sicherheit austauschen, und ist im Vorstand des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit. Als Städtenetzwerk fordern wir auch auf europäischer und deutscher Ebene schon länger, dass die zentrale Rolle der Städte bei der Gewährleistung von Sicherheit anerkannt und dementsprechend auch unterstützt wird. Die Efus Mitglieder, darunter auch 19 deutsche Groß- und Mittelstädte, haben in einem Manifest ihr Verständnis, ihre Forderungen aber auch eine Selbstverpflichtung zu einem inklusiven und integrierten Ansatz der urbanen Sicherheit festgehalten. Das ist ein absolut lesenswertes Dokument!

Sicherlich auf vielen Feldern sind die Städte gut aufgestellt. Die Feuerwehr als Träger des Zivil- und Katastrophenschutzes, das Jugendamt, aber auch Institutionen wie „Wegweiser“ als Experten im Rahmen der Extremismusprävention in Essen, sind Garanten für ein gutes Sicherheitsmanagement.

Kern des Sicherheitsmanagements vor Ort ist es, mit einem 360° Grad Blick urbanes Zusammenleben und urbane Sicherheit zu betrachten und gut abgestimmte, koordinierte und strategische zu bearbeiten. Vor Ort, in den Kommunen, funktioniert die Zusammenarbeit mit der Polizei, den zivilgesellschaftlichen Organisationen und sozialen Trägern meist gut. Selbstkritisch anzumerken ist allerdings, dass in den meisten Kommunen nicht ausreichend und entsprechend qualifiziertes Personal für die Koordination der Sicherheits- und Präventionsarbeit vorgehalten wird.

Richten wir den Blick auf die Landes- und Bundesebene, müssen wir feststellen, dass es zwar Landespräventionsräte gibt, aber der in NRW ist schlecht ausgestattet und wird zu wenig gehört. Auch der Bundeseben gibt es gar kein ressortübergreifendes Gremium das die Politik, Strategien und Maßnahmen zur Reduktion von Gewalt und Kriminalität bündelt. Stattdessen sehen wir eine Vielzahl von Einzelthemen und Strategien.

Deswegen braucht es ein nationales Gesetz zur Prävention von Gewalt und Kriminalität, das über die bisherige Praxis einer oft spät einsetzenden Intervention und kurzfristigen Reaktion auf Kriminalität und Gewalt hinausgeht. Auf Grundlage dieses Gesetzes sollte eine nationale Strategie der Gewalt- und Kriminalprävention erarbeitet und Rahmenempfehlungen für Länder und Kommunen aussprechen.

Zielführend wäre die Einrichtung einer nationalen Gewaltpräventionskonferenz, in der die Bundes-regierung gemeinsam mit den relevanten Organisationen, bundesweit sind es ungefähr 8, die sich mit diesem Thema befassen, und der Wissenschaft gemeinsam planen wie und in welchen Strukturen die bundesweite Zusammenarbeit zukünftig besser koordiniert, strukturiert und die evidenzbasierte Kriminalprävention in Deutschland sowohl inhaltlich als auch in der Umsetzung in den Ländern und Kommunen langfristig vorangetrieben werden kann. Mit diesem Vorgehen würde Deutschland internationalen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der UN Behörde zur Bekämpfung von Drogen und Organisierter Kriminalität (UNODC) entsprechen.

Übrigens ist das auch eine Forderung der vom Land NRW eingesetzten der Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“, die unter dem Vorsitz von Herrn Bosbach Anfang August ihren Abschlussbericht vorgelegt hat und der ich angehörte.

Darf ich Sie abschließend noch um eine kurze zusammenfassende Aussage zu Ihrem heutigen Anliegen bitten:
Innerhalb der Stadtverwaltungen müssen wir vernetzt handeln, um unsere Städte aktuelle Herausforderungen zu meistern und fit für die Zukunft zu werden. Das heißt wir dürfen Themen nicht isoliert und einseitig betrachten, sondern müssen mit einem 360° Grad Blick Zusammenhänge, Ursachen, Folgen und Lösungsansätze erfassen und gemeinsam über Fach- und Ressortgrenzen mit der Zivilgesellschaft angehen. Das gilt nicht nur für die Corona-Krise! Auch bei Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Themen der urbanen Sicherheit sind das die Ansätze, die Wirkung zeigen. Auch auf der Bundes- und Landesebenen würde ich mir so einen Ansatz wünschen, der die Arbeit der Kommunen mit periodischen Sicherheitsberichten und einer bundesweiten gesamtgesellschaftlichen Präventionsstrategie unterstützt. Die wichtige Rolle der Städte bei der Gewährleistung von Sicherheit und der Stärkung des sozialen Zusammenhalts muss anerkannt werden!

Herr Kromberg, ich danke Ihnen für diesen Zwischenruf und bleiben Sie gesund.


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